Hund stammt vom Wolf ab

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Wenn es um die Abstammung unserer Hunde geht, dann taucht fast automatisch der Wolf im Kopf auf. Viele Menschen glauben, der Hund sei einfach ein gezähmter Wolf. Auf dieser Annahme beruhen Erziehungs- und Ernährungskonzepte für unsere Hunde. Von der Annahme, dass Hunde ständig versuchen, „das Rudel anzuführen“, bis zu „Wölfe fressen Fleisch, also brauchen Hunde auch nur Fleisch.“ ist alles dabei. Doch so einfach ist es nicht. Die Beziehung und Abstammungsgeschichte von Hund und Wolf ist viel spannender

 „Der Wolf stammt vom Hund ab.“ Diese Aussage fühlt sich für uns falsch an, doch auch die gängige umgekehrte Behauptung „Der Hund stammt vom Wolf ab“ ist genauso ungenau.
Die Wahrheit ist spannender: Hund und Wolf sind zwei verschiedene Zweige eines alten Stammbaums. Sie teilen sich einen gemeinsamen Vorfahren und haben sich seit Zehntausenden von Jahren unterschiedlich entwickelt.

Gemeinsamer Ursprung

Genetische Analysen zeigen, dass Hund und Wolf extrem eng miteinander verwandt sind, sie teilen mehr als 99 % ihrer Gene. Das ist ganz ähnlich wie bei Menschen und Schimpansen, auch wir teilen bis zu 99% der Gene mit den Schimpansen und trotzdem stammen wir nicht direkt von ihnen ab, sondern sind eine eigne Art innerhalb der Menschenaffen.
Der Hund ist also auch kein direkter Nachkomme des heutigen Grauwolfs. Ebenso wenig ist der Wolf ein „verwilderter Hund“.

Beide haben sich aus einer gemeinsamen Vorläuferpopulation entwickelt, die vor etwa 30.000 bis 40.000 Jahren lebte. Aus dieser Population gingen mehrere Linien hervor: Unter anderem hat sich eine Linie zu den Wölfen entwickelt, wie wir sie heute kennen. Eine andere Linie entwickelte sich durch die Nähe zum Menschen zu unseren heutigen Haushunden.

Das bedeutet, der Wolf ist nicht die „Urform“ des Hundes, sondern eher ein „Cousin“, der parallel eine andere Richtung eingeschlagen hat.

Wie begann die Trennung?

Wie genau die Domestikation begann, wird noch erforscht. Doch wahrscheinlich spielten mehrere Faktoren zusammen. Menschen lebten damals als Jäger und Sammler und hatten Abfälle und Essensreste. Einzelne, weniger scheue Exemplare des Urtypen nutzten die hinterlassenen Abfälle und Essensreste von den Menschen als Nahrungsquelle. Diese Tiere trauten sich näher an die Lager und profitierten von der Nähe zum Menschen. Mit der Zeit setzten sich diese Eigenschaften durch, die das Leben am Menschen erleichterten: weniger Aggressivität, Neugier, eine niedrigere Fluchtdistanz und die Fähigkeit die Nähe zum Menschen auszuhalten. Diese Tiere hatten Vorteile, denn sie kamen leichter an Nahrung und mussten weniger Energie in die Jagd stecken. So entstand, in einer Art „Selbst-Domestikation“ eine eigene Linie, die immer stärker vom Menschen abhängig wurde. Aus ihr entwickelten sich die Hunde. Später begannen Menschen, gezielt Hund für einzelne Aufgaben auszuwählen, z.B. für Jagd, Schutz oder Gesellschaft. Über viele Generationen wurden sie immer stärker zu dem, was wir heute als Hund kennen.
Die Ur-Wölfe, die den Kontakt mieden, entwickelten sich unabhängig weiter und wurden zu den Wildtieren, die wir heute als Wölfe kennen.

Warum „der Hund stammt vom Wolf ab“ trotzdem so verbreitet ist

Es gibt zwei Gründe, warum dieser Satz so oft wiederholt wird.

  1. Taxonomie: Biologisch gesehen wird der Hund als Unterart des Wolfs bezeichnte (Canis lupus familiaris). Diese Einordnung betont die enge Verwandtschaft, kann aber leicht missverstanden werden.
  2. Vergleich in der Gegenwart: Weil sich Hund und Wolf so ähnlich sind, liegt der Gedanke nahe, dass der eine direkt vom anderen abstammt.

Doch man darf nicht vergessen, dass auch der heutige Wolf ein Ergebnis von Evolution und Anpassung ist. Er ist nicht mehr identisch mit den Vorfahren, die vor 30.000 Jahren lebten, sondern ist ein modernes Tier.

Hund und Wolf – verwandte Arten mit Unterschieden

Verhalten
Einer der größten Unterschiede zwischen Hund und Wolf liegt im Sozialverhalten. Wölfe leben in Familienverbänden, in denen die Elterntiere den Ton angeben und die Jungen großziehen.
Kooperation und gemeinsames Jagen sind entscheidend für ihr Überleben.
Hunde dagegen sind flexibler. Sie sind weniger abhängig von komplexer Rudeljagd und haben gelernt, sich eng am Menschen zu orientieren. Ihre Fähigkeit, auf unsere Gesten, Mimik und Sprache zu achten, ist einzigartig im Tierreich. Selbst, die mit uns nah verwandten Menschenaffen tun sich damit schwerer.
Viele typische „Welpenmerkmale“ wie Spielfreude oder Verspieltheit bleiben Hunden lebenslang erhalten. Diese Eigenschaften verschwinden bei den Wölfen im Erwachsenenalter. Man spricht von „Neotenie“, der Beibehaltung jugendlicher Eigenschaften.

Aussehen
Während Wölfe weltweit relativ einheitlich aussehen, haben Hunde eine enorme Vielfalt entwickelt. Vom Chihuahua bis zur Dogge, vom Pudel bis zum Husky.
Grund dafür ist die gezielte Zucht durch den Menschen, die Merkmale wie Körpergröße, Fellfarbe, Ohrenstellung oder Schnauzenform extrem variiert hat.

Ernährung
Viele Ernährungskonzepte basieren auf der Annahme, dass Hunde von Wölfen abstammen und daher besonders viel Fleisch brauchen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wölfe fressen zwar überwiegend Fleisch, aber auch Beeren und Pflanzen. Hunde sind durch die Nähe zum Menschen noch stärker an eine gemischte Ernährung angepasst. Sie haben mehr Enzyme zur Stärkeverdauung  und können Kohlenhydrate wie Getreide oder Kartoffeln sehr viel besser verwerten als Wölfe. Das macht sie zu „Carni-Omnivoren“ – also Fleischfresser, die gleichzeitig auch pflanzliche Nahrung gut nutzen können. Eine genaue Einordnung findest du in dem Blogbeitrag: Sind Hunde Fleischfresser oder Allesfresser?
Eine reine Fleischfütterung ist deshalb nicht automatisch artgerechter.

Gemeinsame Wurzeln – verschiedene Wege

Obwohl Hund und Wolf eng verwandt sind, dürfen wir Hunde nicht einfach wie kleine Wölfe im Wohnzimmer betrachten. Sie haben ihren eigenen Weg genommen und sind keine „halben Wildtiere“. Die Domestikation hat den Hund zu einem ganz eigenen Wesen gemacht. Hunde haben gelernt, uns zu lesen, mit uns zu arbeiten und sich auf uns einzulassen. Das macht sie so einzigartig und erklärt, warum sie in unserem Alltag heute so eine besondere Rolle spielen.

Zusammenfassung

Der Hund stammt nicht vom heutigen Wolf ab und – umgekehrt – der Wolf nicht vom Hund. Beide sind Nachfahren eines gemeinsamen Vorfahren, der vor Zehntausenden Jahren lebte. Während Wölfe sich als Wildtiere weiterentwickelten, wurden Hunde durch die Nähe zum Menschen zu dem, was sie heute sind: eine eigenständige Unterart, die eng mit uns verbunden ist.

Es ist daher genauso irreführend Hunde als „zahme Wölfe“ zu betrachten, wie andersherum Wölfe als „ursprüngliche Hunde“.

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