VERLIEREN WIR DAS GEFÜHL FÜR DEN HUND?

von Sonja Stammer

In der letzten Zeit habe ich das Gefühl, dass die Hunde zunehmen, die übertrieben aggressiv oder ängstlich, ja fast hysterisch in Situationen reagieren,

die eigentlich Nichtig sind. Hunde, die mit ihrem Alltag und dem sozialen Miteinander völlig überfordert sind.

Da ist der Terrier, der es nicht erträgt, wenn die Hundehalterin auch nur 5 Meter weiter von ihm weg steht und sie durch einen Zaun getrennt sind. Oder der Australien Shepherd, der seine Hundehalter nicht mehr aus der Küche rauslässt und dieses Vorhaben auch bissfest unterstreicht, wenn es doch jemand wagt. Der Viszla, der schier ausflippt wenn man weitergehen möchte, er aber mit seiner Schnüffelstelle noch nicht fertig ist. Der Boxer, der seine Hundehalter den ganzen Tag auf Trab hält und anfängt zu randalieren, wenn sie ihn nicht beschäftigen.

Das sind nur die einfachen Felle Fälle aus unserer kleinen, (fast) noch heilen Welt.

Einrichtungen zur Resozialisation von Hunden, wie z.B. Start ins -neue- Leben, Camp Küstenköter oder die Hellhound Foundation haben Hochkonjunktur. Jede dieser Einrichtungen hat lange Wartelisten von Hunden, die beschädigend gebissen oder sogar getötet haben. Schon längst sind diese Hunde keine Einzelfälle mehr. Ein Bedarf an solchen Resozialisierungsprogrammen wächst zunehmend.

Jeder der Kollegen*innen dort verdient den größten Respekt, bringen sie sich doch Tag für Tag wieder in Gefahr, um Hunden zu helfen; Hunde mit denen die Hundehalter heillos überfordert waren, deren Zukunft sonst ein Leben in einem Tierheimzwinger wäre. Im schlimmsten Fall drohte die Euthanasie.

Die meisten dieser Hunde waren in einer Hundeschule, von frühster Welpenzeit an. Sie beherrschen ein perfektes Sitz, Platz und Fuß gehen. Meist so gut, dass ich ganz blass und neidisch werde, da meine Hunde das nicht können. Zumindest nicht in dieser Perfektion. An diesen Grundkommandos hapert es also nicht. Sozialkontakte, grüne Wiesen und ganz viel Liebe wurde ihnen in ihrer Welpen und Junghundzeit auch gegeben. An einer schlechten „Kindheit“, kann es also auch nicht liegen.

Doch was läuft so gewaltig schief, dass immer mehr Hunde nach Beissvorfällen im Tierheim landen. Dass Kollegen von massiven Übergriffen und von Hunden die völlig außer Rand und Band sind berichten? Dass Hundehalter verzweifelt sind, da sie ihren Hund nicht stoppen können. Nicht wissen wie sie ihrem Hund Herr werden, der über Tische und Bänke geht, sie drangsaliert, einschränkt und teilweise auch verletzt. Hunde, die sediert werden müssen, um eine Zecke zu entfernen oder die Krallen zu schneiden.

Sitz, Platz, Fuß sind sicher nette Kunststücke und brauchbare Tools im Zusammenleben mit dem Hund. Aber ist das wirklich unsere Antwort, wenn es um Hundeerziehung geht? Sind nicht andere Dinge viel wichtiger?

Dinge wie Geduld, Frust aushalten, Grenzen akzeptieren, Impulskontrolle, zur Ruhe kommen, Konfliktfähigkeit? Fähigkeiten, die unser alltägliches Miteinander gestalten und eine soziales Zusammenleben ermöglichen.

Wir sollten aufhören um die Hunde herum zu schleichen, immer mit der Angst etwas falsch zu machen, sie stehts und ständig in Watte zu packen – bloß keinen Stress- oder ihnen immer ihren Willen zu lassen. So funktioniert ein soziales Zusammenleben nicht, da gibt es Zeiten in denen man Hund sich einfach mal zurück nehmen und gegebenenfalls auch Frust aushalten muss.

Es ist wieder an der Zeit authentisch mit den Hunden umzugehen. Klar verständliche und faire Grenzen zusetzen, diese selber auch einzuhalten und Verantwortung dem Hund gegenüber zu übernehmen. Ein „Nein“ auch so zu meinen und nicht immer ein „Na gut, dann halt doch“ draus zu machen. Dem Hund eine soziale Stütze und vertrauensvoller Partner sein, der auch Verantwortung übernimmt und einen verlässlichen Rahmen schafft.

 

Wir sollten aufhören unsere Hunde zu dressierten Affen zu degradieren und endlich wieder anfangen sie zu erziehen!