NINA RIEHN - DAS INTERVIEW

von Super User

NINA RIEHN - DAS INTERVIEW

Nina Riehn arbeitet seit 2007 als Hundesitter und Dogwalkerin und betreibt die kleine private Hundepension Woods-Dog. In all der Zeit hat sie sich auch immer für den Tierschutz engagiert. Mittlerweile weit über 30 Tierschutzhunde vermittelt, die vorher bei Ihr als Pflegehunde gelebt haben.

Nina, engagiert sich auch vor Ort und war 2017 zum wiederholten Male sowohl in Bulgarien als auch in Rumänien unterwegs. Daher möchten wir heute von Ihr wissen, wie die Situation vor Ort  – im speziellen für die Straßenhunde – aussieht und was sinnvoller, nachhaltiger Tierschutz sein kann.

 

Liebe Nina,

du engagierst Dich seit Jahren im Tierschutz und warst dieses Jahr mit „Pro K – Tierschutz mit Köpfchen“ in Rumänien. Kannst Du uns zunächst einmal erzählen wie die Situation vor Ort ist?

Das kommt immer darauf an, in welcher Ecke man gerade ist. Ich habe sehr viel unterscheidliches erlebt.

In der Innenstadt von Bukarest sieht man überhaupt keine Straßenhunde (auf Anordung der Stadt werden Hunde leider tatsächlich weggefangen und in staatliche Shelter gebracht), nur wie bei uns sehr viele ganz normale Haushunde die spazierengeführt werden. Ganz vereinzelt haben wir einsame Hunde auf verlassenen Grundstücken gesehen. Sie werden dort zur Bewachung gelassen, die meisten waren frei und nur wenige an der Kette/ Laufleine. Diese Hunde führen natürlich ein tristes und oft einames Leben, aber sie waren ausnahmslos alle in gutem und gepflegten Zustand (einer vermutlich sogar frisch getrimmt!) und waren alles andere als verwahrlost. Bewegt man sich aus der Innenstadt raus begegnet man irgendwann den ersten freilaufenden Hunden. Zum Teil sind es Straßenhunde ohne festes zuhause, der weit größere Teil sind jedoch „freilaufende Besitzerhunde“, d.h. sie haben einen Besitzer, dürfen sich aber den ganzen Tag oder dauerhaft frei bewegen, so wie bei uns Dorfhunde früher (leider ja immer seltener). Häufig suchen sich Straßenhunde auch selbst ein Zuhause – in der Regel bei Werkstätten, Tankstellen etc. Sie leben dort fest, bekommen Futter und oft auch eine Hütte o.ä. und bewachen im Gegenzug das Grundstück. Fährt man noch weiter raus aufs Land wird man verschiedenen Hundetypen begegnen: Hofhunden, den schon beschriebenen freilaufenden Besitzerhunden, Straßenhunden und in Waldgegenden sehr scheuen Waldhunden. Diese Waldhunde sind extrem scheu, sie kommen aus den Wäldern nur in die Dörfer, um Futter zu suchen. Sie sind quasi Wildtiere, je nach Gegend verpaaren sie sich auch oft mit Schakelen oder Wölfen. Dorf-Straßenhunde sehen anders als Großstadthunde wenig fremde Menschen, meist nur die Dorfbewohner. Oft schliessen sie sich bestimmten Menschen an, leben fest vor einem Grundstück und bekommen dort Futter. Manche Hunde schliessen sich auch Wanderhirten an, die es dort noch häufig gibt.

 

 

 

Außer in Bukarest war ich dieses Jahr auch eine Woche in Bulgarien unterwegs, ganz gezielt um Straßenhunde zu beobachten. Begleitet wurde die Reise von Gerd Schuster vom Hundezentrum Mittelfranken der seit Jahren durch Europa (überwiegend Balkan) reist um Straßenhunde zu beobachten. In vielen Gebieten war die Situation ähnlich wie in Rumänien, in der Stadt Varna jedoch völlig anders als in Bukarest. In Varna waren überall Straßenhunde (und Katzen!) – in der Fußgängerzone, im Park, am Strand,.. Und: niemand hat sich daran gestört! Im Gegenteil, wir konnten sehr viele positive Situationen beobachten. Ein alter Herr, der jeden Tag in der Fußgängerzone eine Katze fütterte. Jugendiche, die den Hunden ihre McDonalds Reste gaben mit einer Runde Streicheleinheiten dazu. Eine alte Dame, die schwere Tüten und Wasserflaschen einen weiten Weg in den Park geschleppt hat, um dort Katzen zu füttern. Ein Mann der Augentropfen für einen Straßenhund dabei hatte. Wasser- und Futterstellen überall. Im schlechtesten Fall wurden die Hunde einfach nicht beachtet. Sie gehören einfach dazu.Was ich auf beiden Reisen nicht sehen konnte waren gequälte oder sonstwie hilfebedürftige und leidende Tiere. Ausnahmelos alle Tiere waren gut genährt (manche zu gut!) und auch sonst in guter Verfassung. Dabei müsste es die doch an jeder Ecke geben, wenn man sich auf Facebook oder auf Tierschutzseiten so umsieht!? Sicher gibt es dort leidenene, misshandelte Tiere, die  Hilfe brauchen – aber ganz offensichtlich nicht in dem Ausmaß, wie es oft dargestellt wird. Sonst hätten wir bei weit über 1000 gefahrenen und zig gelaufenen km doch viele solche Tiere begegnen müssen!
Mit Sicherheit ist das Leben anders, als wir uns das für Hunde vorstellen. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass die meisten Menschen dort arm sind und selbst kaum über die Runden kommen. Aber ist es deshalb unbedingt schlechter? Ganz bestimmt nicht! Welcher Hund hat hier bei uns schon die Möglichkeit, völlig frei zu entscheiden, zu tun und zu lassen was er möchte? Die allerwenigsten! Der überwiegende Teil unserer Hunde lebt im goldenen Käfig, mit einem kuscheligen Bett und Futter vom feinsten aber dafür doch mit sehr vielen Einschränkungen. Jeder darf jetzt gern selbst überlegen, wie sich ein vorher freilebender Hund fühlt, wenn er plötzlich in unser geregeltes Leben geschickt wird…

 

Das ist ja auch die Situation, die Stefan Kirchhoff in seinem Buch Streuner!: Straßenhunde in Europa beschreibt.

Wie schaut für Dich, nach all diesen Erfahrungen, sinnvoller Tierschutz aus?

Ja, das ist genau so wie es im Buch steht – ich kann es jedem nur empfehlen!

 

Sinnvoller Tierschutz im Ausland besteht für mich persönlich aus vielen kleinen Bausteinen. Ganz sicher aber auf jeden Fall nicht im Massenexport von Hunden, wie er im Moment stattfindet.

 

1. Kommunikation mit der Bevölkerung

– damit die Leute Ihre Tiere kastrieren lassen, so dass nicht so viel ungewollter Nachwuchs entsteht.

– damit nicht mehr so viele ausgesetzt werden (das passiert übrigens erst ganz massiv, seit der Tierschutz in diesen Ländern so präsent ist weil die Leute tatsächlich denken „kein Problem wenn ich meinen Hund, den ich nicht mehr halten kann aussetze, irgendwelche Deutschen werden schon kommen und ihn finden“)

– damit Kettenhunde ein besseres Leben haben, indem man ihnen zB. Laufleinen baut, eine gute Hütte etc.

– um Menschen zu unterstützen, die sich zB keine tierärtzliche Behandlung für ihr Tier leisten können

– damit sich mehr Menschen einen Hund aus dem Tierheim holen

 

2. Versuchen, auf politischer Ebene etwas zu erreichen

– um z.B. das Wegfangen oder anderweitige „Beseitigung“ der Hunde zu verhindern. Dadurch wird stetig Platz für neue Hunde gemacht und es ist ein ewiger Teufelskreis.

– um eine bessere Unterbringung der Hunde in den staatlichen Tierheimen zu erreichen

– um große, flächendeckende Kastrationsaktionen zu finanzieren – solange die Flut der Tiere so unendlich groß ist.

 

3. Unterstützung vor Ort für die Hunde

–  durch Verteilen von Parasitenmitteln etc.

–  medizinische Behandlung für kranke Tiere

– beschaffen von warmen und trockenen Schlafplätzen, z.B. Hundehütten

 

4. Durchdachte Vermittlung von geeigneten Hunden nach Deutschland (Österreich, Niederlande,..)

– es gibt tolle, unkomplizierte Hunde im Ausland, die bestens in unser Leben hier passen. Richtig unkomplizierte Hunde sind in deutschen Tierheimen leider schwer zu finden, daher spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, ausgesuchte Hunde hier her zu holen.

– Diese Hunde müssen vor Ort von fachkundigen Leuten aber gut ausgewählt werden, sind idealerweise schon auf ein Leben hier vorbereitet (kennen Halsband und Leine, Autofahren,..) und gehen hier in einige ausgesuchte Pflegestellen in unmittelbarem Umkreis der Organisation.

 

Ein tolles Beispiel ist die Arbeit von Sandra Pfaffinger: SPEP Sandra ist Hundetrainerin aus Österreich und lebt seit längerem in der Nähe von Bukarest. Sie veranstaltet regelmäßige Kastrationsprojekte, betreut Straßenhunde, behandelt kranke Hunde bringt sie danach wieder zurück. Hunde, die bei ihr abgegeben werden oder z.B. keine Chance auf der Straße haben, beobachtet sie genau. Für die Vermittlung geeignete Hunde leben bei ihr bis sie vermittelt werden. Da es nie sehr viele Hunde sind und alle bei ihr im Haus leben, kennt sie die Hunde sehr genau und bereitet sie entsprechend auf die Vermittlung vor.

 

Sandra betreibt guten, durchdachten Tierschutz. Das ist leider selten,  in der Regel sieht die Vermittlung momentan leider oft anders aus.

 

Gehen wir nochmal auf Dein Engagement für „Pro K – Tierschutz mit Köpfchen“ ein. Was sind die Ziele von „Pro K“ und was wird vor Ort gemacht ?

Pro K steht für Pro Kastration. Wir sind eine Interessensgemeinschaft und sammeln auf Hundemessen und anderen Veranstaltungen Geld. Dieses Geld wird eins zu eins verwendet um Kastrationen von Straßentieren zu finanzieren oder für freilaufende Hunde, deren Besitzer sich das selbst nicht leisten können. Unser aktuelles Projekt ist Rumänien, dort arbeiten wir mit RAR Romania Animal Rescue zusammen. Hinter RAR steht ein engagiertes Team rumänischer Tierärzte die extrem gut, sauber und ordentlich arbeiten. Zwei mal waren wir bereits selbst mit vor Ort und konnten uns von der Arbeit überzeugen. Ausführliche Reiseberichte sind auf der Homepage von Pro K zu finden.

 

Warum die Kastrationen in diesen Ländern so wichtig sind? Das hat verschiedene Gründe.

Insbesondere in Rumänien gibt es eine unfassbare Masse an Straßenhunden – das ist auch viele Jahre später die Konsequenz von Ceaucescus Befehl, dass alle Leute in die Städte ziehen sollen. Ganze Dörfer wurden geräumt, die Hunde wurden zurückgelassen oder man nahm sie mit. Da sie in der Stadt nicht mit in die Wohnhäuser durften, lebten große Gruppen vor den Plattenbauten und vermehrten sich natürlich extrem. Gleiches passierte in den Dörfern. Straßenhunde gab es zwar vorher schon, seit tausenden von Jahren leben Hunde so (Insgesamt leben übrigens über 80% aller Hunde weltweit ohne ein festes Zuhause!). Extreme Ausmaße hat es aber erst durch diese erzwungene Landflucht angenommen. Unzählige unerwünschte Welpen kommen so permanent zur Welt und das machte Pro K langfristig stoppen.

Ein weiteres Argument pro Kastration: in der Regel leben die Hunde in losen Gruppenverbänden, in festen Gebieten. Sind läufige Hündinnen im Spiel, ziehen diese unzählige Rüden aus vielen Gebieten an. Es kommt zu extremer Unruhe, teilweise auch Beißereien. Dies erschreckt die Bevölkerung, viele haben verständlicherweise Angst davor. Außerdem steigt die Anzahl der Verkehrsunfälle – liebestolle Rüden rennen nämlich im Gegensatz zu sonst einfach blindlings über die Straße…

Bei der Kastration werden die Hunde in der Regel auch gegen Tollwut geimpft. Gleichzeitig werden sie mit einer Ohrmarke gekennzeichnet. Wer so einen Hund sieht, weiß also, dass dieser geimpft wurde, das gibt der Bevölkerung Sicherheit, gekennzeichnete Tiere werden akzeptiert.