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DER HUND - DAS RUDELTIER
- von Sonja Stammer
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Spricht man über mehrere Hunde, die zusammenleben, ob freiwillig oder unfreiwillig, fällt in der Regel schnell der Begriff „Rudel“.
Sogar in Kombination mit dem Menschen wird dieser Begriff gerne genutzt. Denn Hunde leben in einem Rudel! …oder? Was genau ist ein Rudel? Und ist dies wirklich die einzige Form des Zusammenlebens?
Fragt man Wikipedia was ein Rudel ist, lautet die Antwort: „ Rudel ist die umgangssprachliche Bezeichnung für eine geschlossene und individualisierte Gruppe von Säugetieren. Ein Rudel ist eine geschlossene Gruppe, weil die Mitglieder eines Rudels nicht beliebig austauschbar sind, und es ist eine individualisierte Gruppe, weil die Mitglieder der Gruppe sich untereinander erkennen. Im Unterschied dazu beschreibt die Herde einen anonymen Zusammenschluss von Tieren. Es gibt in Rudeln oft eine Rangordnung und eine gewisse Arbeitsteilung.“
Ein Rudel ist also ein Zusammenschluss von Tieren, die sich gut kennen, in einem engen sozialen Kontakt zueinander stehen und indem einzelne Individuen nicht beliebig austauschbar sind.
√ Wir kennen uns
√ Leben in einem engen sozialen Kontakt
√ Die einzelnen Individuen werden nicht beliebig ausgetauscht
So weit so gut. Das würde auch auf jeden Einzelnen von uns und seine Hunde zutreffen. Aber was soll ich sagen…so einfach ist das mal wieder nicht:
Bei Feldstudien konnte gezeigt werden, dass Hunderudel (aber auch Rudel anderer Hundeartiger) eine Besonderheit haben, sie sind Familienverbände. Die Tiere sind miteinander verwandt, sie werden in das Rudel hineingeboren. Trotzdem können einzelne Individuen von außen akzeptiert werden, sie werden sozusagen angeheiratet. Ein Hunderudel ist also kein zufällig zusammen geworfener Haufen an Tieren, sondern diese kennen sich unter einander und pflegen enge soziale Kontakte. Einzelne Individuen treffen Entscheidungen, an denen sich der Rest des Rudels orientiert. Aktivitäten werden gemeinsam unternommen, wobei es durch aus vorkommen kann, dass einzelnen Individuen eine andere Aufgabe zufällt (z.B. Babysitten). Es gibt eine Rangordnung, die auf einer natürlich gewachsenen familiären Hierarchie beruht und weit entfernt ist von der Vorstellung, dass der Stärkste und Dominanteste, der alle anderen unterbuttert das Rudel anführt (Lest dazu auch: Der dominante Hund). Den Elterntieren gebührt ein natürlicher Respekt, durch den Nachwuchs – zumindest bis zu einem bestimmten Alter. Doch kommt der Nachwuchs in dieses Alter, wird es Zeit abzuwandern, das Rudel zu verlassen, auf Wanderschaft zu gehen und mit viel Glück eine/n PartnerIn zu finden und ein eigenes Rudel zu gründen. Eigentlich gar nicht so weit entfernt von einer menschlichen herkömmlichen Familienstruktur. Vielleicht ein Grund dafür, warum Hunde und Menschen es so gut miteinander aushalten können.
Betrachten wir unsere Hunde, die sich zu einer zufälligen – von Menschen initiierten – Spaziergruppe formieren oder aber auch bei Mehrhundehaltung gemeinsam in einem Haushalt leben, handelt es sich formal nicht um ein natürlich gewachsenes Rudel. Weder sind unsere Hunde (in der Regel) in diesen Verband hineingeboren, noch haben sie die Möglichkeit der eigenständigen Abwanderung. Auch nach den jüngsten Beobachtungen an freilebenden Hunden, ist diese Form des Zusammenlebens bei Hunden seltener als gedacht anzutreffen.
Gerade bei Straßenhunden trifft man eher auf Gruppen, lose Zusammenschlüsse an Tieren, die in der Regel nicht miteinander verwandt sind. Bestimmte soziale Interaktionen sind in diesen Gruppen weniger zu beobachten, wie z.B. das Kontaktliegen oder Chorgeheul. Während der Aktivphasen sind die Hunde meist alleine unterwegs. Natürlich gibt es auch dort Freundschaften mit engerem sozialem Kontakt. Mir gefällt der Vergleich von Stefan Kirchhoff, der solche Gruppen als Wohngemeinschaft bezeichnet. Es existiert eine gemeinsame Homebase, an der man sich trifft und „abhängt“, doch beim Tagesgeschäft verfolgt jeder seinen eigenen Weg und seine eigenen Interessen.
Trotzdem gibt es sie, die echten Hunderudel. Doch bedingt durch das eng an den Menschen gebundene Leben, durch selektive Zucht, Aussetzen und Wegfangen von Tieren, seltener als die Gruppenverbände. Stefan Kirchhoff konnte auch unter den Straßenhunden echte Rudel beobachten. Bei Rudelmitgliedern fällt die große phänotypische Ähnlichkeit der Tiere ins Auge und deren rudeltypische Verhaltensweisen, wie enges Kontaktliegen, Schnauzenlecken und gegenseitige Fellpflege.
Wer sich für diese Thematik interessiert, dem kann ich die Langzeitfreilandstudie „Tuscany Dog Project“ von Günther Bloch ans Herz legen. Im Buch „Die Pizza-Hunde“ dokumentiert er die dort gemachten Beobachtungen und daraus gemachten Schlussfolgerungen.
Ein weiteren lesenswerten Bericht liefert Stefan Kirchhoff mit seinem Buch „ Streuner! Straßenhunde in Europa“. Dort fasst er seine drei monatigen Beobachtungen, Erfahrungen und Erlebnisse vom Leben der Straßenhunde zusammen.
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Der Zusammenschluss zwischen Menschen und ihren Hunden nimmt eine Sonderstellung ein. Feddersen-Petersen (2008) schreibt zu der Mensch-Hund-Beziehung: „ …, leben beide Arten mitnichten in einem Familienverband, die „Rudelhypothese“ ist zu verwerfen. …, Hunde und Menschen leben zweifelsohne in einer sozialen Gruppe.“ Der Begriff „Rudel“ ist also zumindest begrifflich nicht korrekt, wenn wir ihn auf uns und unsere Hunde anwenden. Doch bilden wir zumeist auch keinen losen Gruppenverband /WG indem man kommt oder geht wie man möchte. Vielleicht kann man das Model eher mit „betreuten Wohnen“ einer Jugend-WG vergleichen. Denn weiter schreibt Feddersen-Petersen (2008) „Zwischen Menschen und Hunden gibt es keine Rangordnung wie unter Artgenossen. Abhängigkeiten im Sozialgefüge durchaus und nach individuellen Gusto vom Menschen gesetzte Handlungsfreiräume für Hunde.“ Heißt Ihr sollt sehr wohl Euren Führanspruch wahrnehmen und Euren Hunden einen Rahmen und damit sozialen Halt bieten. Denn Hunde, die führungslos durch Raum und Zeit wandern, verlieren ihre soziale Kompetenz und werden oft zu Problemhunden in unserer Gesellschaft.
Literatur:
Bloch, Günther: Die Pizza-Hunde, Kosmos Verlag, Stuttgart, 2007
Bloch, Günther & Karin: Timberwolf Yukon & Co., 2002
Feddersen-Petersen, Dorti Urd: Ausdrucksverhalten beim Hund, Kosmos Verlag, Stuttgart, 2008
Kirchhoff, Stefan: Streuner! Straßenhunde in Europa, Kynos Verlag, 2014
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudel_(Verhaltensbiologie) (August 2018)