Verstehen, Vertrauen, Verbundenheit: Die Mensch-Hund-Bindung

von Sonja Stammer

Wenn der Hund nicht hört, werden schnell Stimmen laut, dass die Beziehung und die Mensch-Hund-Bindung nicht stimmen und man unbedingt daran arbeiten sollte. Doch was genau ist eine Beziehung? Was zeichnet eine Bindung aus? Und wie überhaupt baut man eine gute Bindung auf? 

  

 

  

Beziehung: Eine Beziehung ist immer zweiseitig. Beide Beziehungspartner ziehen Vorteile aus dieser Verbindung, wobei die einzelnen Individuen austauschbar sind. Zum Beispiel habe ich eine Beziehung zu dem Menschen an der Tankstellenkasse. Nach dem Tanken, kassiert er den Betrag, den ich für meinen Treibstoff schuldig bin. Für diesen Akt sind wir also Beziehungspartner*innen. Letztlich ist es mir aber egal, wenn beim nächsten Mal jemand anderes dort kassiert. Bei einem Hund sind diese Beziehungskonstellationen vergleichbar. Er hat folglich zu jedem Menschen, den er kennt und mit dem er in Austausch geht eine Beziehung. 

Diese Beziehung kann in verschiedenen Formen auftreten, zum Beispiel: 

Dominanzbeziehung:
Bei der Dominanzbeziehung setzt ein Individuum seine Interessen vorhersagbar gegenüber anderen Individuen durch. Letztere verzichten freiwillig auf die Durchsetzung ihrer Interessen. Je nach Kontext unterscheidet man Formale Dominanz > z.B. Vorgesetzter – Untergebener in einem Arbeitsverhältnis 

Soziale Dominanz > z.B. Familie, Freundeskreis 

Situative Dominanz > regelt einzelne Situationen - z.B. Wer bringt den Müll raus? 

Anführer-Gefolgschaft Beziehung  

Beide Beziehungsformen werden von unten nach oben bestätigt und stabilisiert. Welche Beziehungsform ich mit meinem Hund habe, kann stark von dem Grund abhängen, aus welchem ich diesen Hund habe. Bei einem reinen Arbeitsverhältnis kann die Beziehungsform eine andere sein als bei einem Hund mit Familienanschluss. 

Viele Hundehalter*innen bezeichnen ihren Hund als Familienmitglied und die Mensch-Hund Beziehung ähnelt einer Eltern-Kind- Beziehung. Dies ist gar nicht so weit hergeholt, denn zum einen sind Hunde i.d.R. ähnlich abhängig von ihrem Menschen wie Kinder, was ihren Schutz und ihre Versorgung angehen. Zum anderen ist auch die Interaktion und Kommunikation von Hund und Mensch vergleichbar mit der von Eltern mit ihrem Kind. 

Bindung: 

Eine weitere Beziehungsform ist die emotionale Bindung und Freundschaft. Bindung ist exklusiv und kann auch einseitig sein. Eine Bindung ist eine emotionale Verbindung zu einem Individuum, die zusätzlich Trost und Sicherheit vermittelt. Anders als bei den anderen Beziehungsformen können die einzelnen Individuen nicht beliebig ausgetauscht werden. 

Hunde sind in der Lage, eine feste und innige Beziehung zu ihrem Menschen aufzubauen. In einer guten Mensch-Hund-Bindung sucht man die Nähe des Bindungspartners und versucht diese, aufrecht zu erhalten. Das spiegelt sich z.B. im Kontaktliegen wider, wobei Kontaktliegen nicht immer direkter Körperkontakt sein muss. Auch das Beisammensein im gleichen Raum kann als Kontaktliegen gewertet werden. 

Mit vertrauten Bindungspartner*innen halten Hunde öfter längeren direkten Blickkontakt. Diesen scheinen sie nicht als bedrohlich zu empfinden, sondern als Geste der Vertrautheit. Durch körperliche Nähe und Blickkontakt kommt es zu einem erhöhten Ausstoß von Oxytocin und mit mehr Oxytocin im Blut fühlen wir uns direkt noch enger verbunden. Auf gemeinsamen Spaziergängen äußert sich diese Bindung in gemeinsamen Richtungswechseln oder warten auf den/die Partner*in, wenn diese*r stehen bleibt. 

Auf eine Trennung von ihrem Menschen zeigen Hunde, genau wie Kleinkinder eine Trennungsreaktion und bei Wiedervereinigung eine Wiedersehensfreude. Dabei unterscheiden sie klar zwischen dem vertrauten Bindungspartner*in oder einem fremden Menschen. 

Idealerweise ist der Mensch sicherer Hafen und sichere Basis für seinen Hund, von dem aus Explorationsverhalten und Spielverhalten gezeigt werden kann. Zu dem man aber auch immer wieder zurückkehrt, um Schutz und Sicherheit zu erhalten, wenn Gefahr droht, die aufregende Welt zu beängstigend oder zu bedrohlich wird. Die wichtigste Funktion einer Bindung ist also der Schutz vor Gefahren. 

Gehorsam ist nicht mit Bindung gleichzusetzen. Ein guter Gehorsam spiegelt nicht automatisch eine gute Bindung wider. Gut ausgebildete Hunde können perfekt funktionieren ohne ein Vertrauensverhältnis zu ihrer/ihrem Hundeführer*in zu haben. 

Bindungstypen: 

Über den sogenannten Fremdsituationstest (ASSP = Ainsworth-Strange-Situation-Procedure) wurde in den 60er Jahren verschiedene Bindungstypen von Kleinkindern zu ihren Eltern definiert. Der gleiche Test wurde mit Hunden und ihren Menschen durchgeführt. Herauskam, dass die Mensch-Hund Bindung vergleichbar mit der Eltern-Kind Bindung ist. Auch hier konnten verschieden Bindungstypen beobachtet werden: 

Sichere Bindung
Die sichere Bindung ist der stabilste Bindungstyp. Der Hund weiß, dass sein Mensch keine Gefahr für ihn darstellt, auch oder gerade weil er klare Grenzen setzt. Damit dient er dem Hund als Vorbild. Die Bezugsperson wird als sicherer Hafen wahrgenommen, von dem aus der Hund Explorationsverhalten zeigen kann und in den er zurückkehrt, wenn er sich unsicher fühlt. Diese Bindung ermöglicht es dem Hund sich positiv mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen. Sie stellt die optimale Balance zwischen dem Sicherheitsbedürfnis und dem Bedürfnis nach Exploration eines Hundes dar. Der Hund weicht Blick-, Körperkontakt oder Nähe nicht aus, sondern genießt diese. Mensch: konsequent, verbindlich, zuverlässig, feinfühlig, bietet emotionale Unterstützung Hund: freundlich, verspielt, neugierig, vertrauensvoll, kann Nähe und Distanz ertragen. 

Vermeidend-distanzierte Bindung
Bei der vermeidend-distanzierten Bindung wirkt der Hund sehr selbstständig. Zeigt viel Explorations- sowie Spielverhalten und wenig Kontaktverhalten zu seinem Menschen. Oft wird dieses Verhalten als „Pseudo- Dominanz“ missverstanden. Mensch: keine emotionale Unterstützung, fordert Unabhängigkeit, „Die machen das unter sich aus“ Hund: zeigt scheinbar keine Trennungsreaktion, ist scheinbar unabhängig, trotzdem zeigt der Hund trennungsbedingte Verhaltensweisen, wie z.B. Zerstören, Bellen, Heulen, Herumlaufen, Unruhe. 

Unsichere -ambivalente Bindung
Bei einer unsicher-ambivalenten Bindung zeigt der Hund viel Bindungsverhalten, jedoch wenig Explorationsverhalten. Dies wird fälschlicherweise oft als zu enge Bindung bezeichnet.  

Doch schon Sophie Strodtbeck sagte: „Eine zu enge Bindung kann es nicht geben, es gibt ja auch nicht zu viel Glück“. In dieser Bindungsform ist die Balance zugunsten des Bindungsverhaltens gestört. Im Mensch-Hund Team kann man klare Konflikte im Kontakt- und Spielverhalten beobachten. Mensch: kontrollierend, fordert viel Nähe ein, ist unbeständig, wenig verbindlich, unzuverlässig. Hund: distanzlos, anrempeln, leerschnappen, Wegrennen und Annähern im Wechsel, geringe Konzentration und wenig Stresstoleranz. 

Desorganisierte – Chaotische Bindung
Die desorganisierte – chaotische Bindung ist ein völliger Zusammenbruch des Bindungssystems zwischen Mensch und Hund. Der Mensch löst beim Hund Stress und Angst aus, da der Hund den Menschen nicht einschätzen kann. Dieser unterliegt scheinbar Stimmungsschwankungen und die Stimmung kippt willkürlich. Die Hunde zeigen Furcht vor ihren Menschen und Spielverhalten ist eher selten zu beobachten. Diese stark wechselnden Umgangsformen, können zum Beispiel durch das sog. Hundeschulhopping oder durch diverse Online Videos von Hundeschulen ausgelöst werden, deren Inhalt der Mensch wahllos an seinem Hund ausprobiert. Mensch: straft willkürlich, psychisch und körperlich, traumatisierend, schlechte Haltungsbedingungen Hund: Zerstört, zeigt Stereotypien 

Was kann man für eine gute Bindung tun? 

Eine Bindung setzt eine Beziehung voraus. Hunde binden sich an Menschen, die für sie eine Bedeutung haben und für sie wichtig sind. Natürlich möchten die meisten Menschen eine Bedeutung für ihren Hund haben, diese wird jedoch nicht automatisch bei der Übernahme des Hundes mitgeliefert. Das Vertrauen des Hundes und seine Bereitschaft zu einer Bindung muss man sich verdienen. 

Als aller erstes sei gesagt und man kann es nie genug betonen: Futter hat im Bindungsaufbau nichts zu suchen. Es ist nicht das Futter, das zu einer guten Bindung führt. Das Wichtigste ist immer die Gewährleistung der Sicherheit des Hundes. Der Hund muss das Gefühl haben, dass sein Mensch in jeder Lebenslage weiß, was zu tun ist und viele kluge Entscheidungen trifft, um ihn zu beschützen und alles zu regeln, was er nicht selber regeln kann. Gleichzeitig muss der Mensch den Hund erziehen und ihm Raum für seine Persönlichkeitsentwicklung geben. 

Dafür muss ich als Mensch feinfühlig genug sein, um zu erkennen, wann Trost und Sicherheit gewünscht sind und wann Unterstützung und Ermutigung. Im Alltag bedeutet dies, dass der Mensch einen herzlichen und unterstützenden Umgang mit seinem Hund pflegt, zuverlässig ist, klar definierte Grenzen setzt, den Hund sicher durch die Umwelt führt, immer mal wieder Blickkontakt zu seinem Hund sucht, den Hund anlächelt und mit freundlicher Stimme spricht. Körperkontakt wird zugelassen und der Mensch beteiligt sich aktiv am Spiel, wobei er den Hund auch mal gewinnen lässt. 

Genauso, wie ich eine gute Bindung aufbauen kann, kann ich sie mir auch wieder zerstören. Der Aufbau und Erhalt einer guten Bindung ist dauerhafte Arbeit. 

Was sind Beziehungs- und Bindungskiller? 

Aus den Augen des Hundes sind echte Beziehungs- und Bindungskiller in einer Mensch-Hund Beziehung, wenn der Mensch unzuverlässig, völlig überfordert, willkürlich, ja vielleicht sogar als gefährlich empfunden wird. Denn die Aufgabe des Menschen ist es seinem Hund Schutz, Sicherheit und Verlässlichkeit zu bieten. Kümmert sich der Mensch nicht, dann kann er auch nicht erwarten, dass ihm sein Hund vertraut und er sich in für ihn schwierigen Situationen an seinen Menschen wendet, statt sein eigenes Ding zu machen. 

Auch die Vermenschlichung des Hundes und ständige Fehlinterpretation von der hundlichen Mimik und Lautäußerungen und einer damit einhergehenden Missachtung der hundlichen Bedürfnisse, führen zu keiner guten Bindung 

Genauso kann eine schlechte soziale Passung, als Beziehungs- und Bindungskiller angesehen werden. Ein Hund, der zum Beispiel von seiner Genetik her sehr territorial und eher skeptisch gegenüber fremden Menschen ist, wird mit einem Menschen der sehr gesellig ist und in dessen Haus ständig Gäste ein- und ausgehen, keine starke Bindung eingehen. 

Wie erkenne ich, dass mein Hund eine gute Bindung zu mir hat? 

Bin ich eine wichtige Bezugsperson für meinen Hund?
Um mir das zu beantworten, kann ich mir folgende Fragen stellen: 

- Kann ich meinen Hund anfassen und festhalten? Fühlt er sich dabei wohl oder möchte er lieber auf Distanz gehen? 

- Kann ich meinen Hund auch auf Distanz lenken oder stellt er da die Ohren auf Durchzug und beachtet mich nicht mehr? 

- Darf ich mich frei bewegen oder werde ich von meinem Hund begrenzt? 

- Hält mein Hund eine von meiner Seite her aufgebaute Distanz aus oder muss er mir unbedingt folgen? 

- Wenn mein Hund sich erschreckt oder unsicher wird, flüchtet er dann an mir vorbei oder sucht er Schutz bei mir? 

- Hält mein Hund auf gemeinsamen Spaziergängen Kontakt zu mir oder geht er seinen Weg und ich muss ihm folgen? 

 

Bist du der sichere Hafen für deinen Hund? 

 

 

 

 

 

Quellen: 

• Udo Gansloßer, Kate Kitchenham, Hunde Forschung aktuell, Kosmos, 2019 

Dr. med. vet. Renate Jones, Aggression bei Hunden, Kosmos, 2009 

Peter Kappeler, Verhaltensbiologie, 4. Auflage, Springer Spektrum, 2017 

Sophie Strodtbeck, Vom Welpen zum Senior, Müller Rüschlikon, 2015

• Topál, J., Miklósi, Á., Csányi, V., & Dóka, A. (1998). Attachment behavior in dogs (Canis familiaris): a new application of Ainsworth's (1969) Strange Situation Test. Journal of comparative psychology, 112(3), 219. 

Dr. Dorit Urd Fedderson-Petersen, Hundepsychologie, Kosmos, 2013 

Bild:

Antje Hachmann