Mythos: Der "dominante" Hund

von Sonja Stammer

„Ich habe das Alpha-Tier aus dem Wurf bekommen“, „Der ist besonders dominant…“ Wer kennt diese Ausreden nicht, wenn es darum geht seinen ungehorsamen Hund zu entschuldigen? 

Natürlich hilft da auch keine Erziehung, wenn man den dominanten Hund erwischt hat. Alle Welt wird das verstehen. Da kann man Nix machen. Der ist halt dominant. *Ironie off*

 

 

Aber ist das wirklich so? Gibt es DEN dominanten Hund überhaupt? Was ist Dominanz?

Schauen wir uns erst einmal an wie Dominanz definiert wird: “ Individuum A schränkt die Rechte und Freiheiten von Individuum B ein und gesteht sich selber diese Rechte und Freiheiten zu, was von B akzeptiert wird. Dominanz ist immer beziehungsspezifisch und ist zeit- und situationsabhängig.“ (Wikipedia: Dominanz) Dominanz ist also keine Eigenschaft, sondern eine Beziehung zwischen mindestens zwei Individuen.

Für Hundehalter ist des Weiteren der Unterschied zwischen formaler und situativer Dominanz wichtig.

Die formale Dominanz regelt die Langzeitbeziehung: sprich wer ist Chef und wer ist Mitarbeiter. Diese Langzeitbeziehung wird nicht an einer einzigen Situation festgemacht, sondern ist die Summe vieler Verhaltensweisen zwischen den beiden Individuen.

Die situative Dominanz regelt einzelne Situationen und ist nicht an die Langzeitrangordnung gebunden. Die situative Dominanz kann in beide Richtungen gehen, also vom Chef an den Mitarbeiter, kann aber auch vom Mitarbeiter an den Chef gerichtet sein, der dieses dann auch akzeptiert. Trotzdem verliert der Chef dadurch nicht an Ansehen.

Eine Dominanzbeziehung funktioniert nur, wenn B akzeptiert, dass A seine Rechte und Freiheiten einschränkt = Kein Chef ohne Mitarbeiter, der dies auch akzeptiert. Die Dominanzbeziehung wird also durch den Rangniedrigeren bestätigt.

An dieser Stelle müssen wir mit einem weiteren Mythos aufräumen. Nicht der Supermacho, der ständig Raufereien beginnt, wird Chef. Sondern derjenige, der souverän Herausforderungen meistert und das in der Regel ohne Gewalt anzuwenden. Es ist also nicht derjenige Hund „dominant“, der ständig Streit sucht und jeden herausfordert, sondern derjenige, der ohne Gewalt zu seinen Zielen kommt. Ein Chef hat es nicht nötig seine Ziele mit Gewalt durchzusetzen, er bekommt seinen Willen auch so.

Ich habe in meinen über 10 Jahren Hundeschulerfahrung noch keinen Hund kennengelernt, der freiwillig und mit voller Absicht seinen Menschen dominierte, um die Weltherrschaft an sich zu reißen (was nicht heißt, dass es diese Hunde nicht gibt. Sie werden allerdings nur einen sehr kleinen Prozentsatz ausmachen). Viele Hunde werden von Ihren Bezugspersonen unbewusst in eine ranghöhere Position gedrängt, die für die Hunde mit viel Stress verbunden ist, womit ihnen ein ganzes Stück Lebensqualität genommen wird. Die wenigsten Hunde können und wollen die Chefrolle wirklich ausfüllen. Im Laufe der Hundeschulkurse ist immer zu beobachten, dass die stressbedingten Verhaltensweisen der Hunde sofort zurückgehen, sobald der Mensch Verantwortung und die Führung übernimmt.

Denn Chef-Sein geht nicht nur mit Privilegien einher, sondern auch mit vielen Verpflichtungen. Hier heißt es Führungsqualitäten zeigen. Bleiben wir bei dem Beispiel Chef + Mitarbeiter. Den Mitarbeiter kostet diese Rollenverteilung erst einmal eine Menge, er leistet Arbeit, Zeit und Energie für den Chef, die er für sich (und seine Familie) nicht einsetzen kann. Dafür erwartet er eine Gegenleistung. Der Chef muss sich um ihn kümmern, einen Lohn zahlen und dafür sorgen, dass der Mitarbeiter einen gesicherten Arbeitsplatz hat. Dafür erkennt der Mitarbeiter den Chef als ranghöher an, er vertraut darauf, dass der Chef weiß, was zu tun ist, damit die Firma läuft und sein Unterhalt gesichert ist. In der Mensch-Hund Beziehung läuft es ähnlich, auch für unseren Hund muss es sich lohnen, also Vorteile bringen uns als Weisungsbefugte-Person anzuerkennen. Heißt für den Menschen, es reicht nicht aus immer nur lautstark zu mokieren, dass man Chef ist, sondern man muss auch Führungsqualitäten beweisen und für den Hund als glaubhaftes, souveränes Vorbild durch das gemeinsame Leben gehen. Dazu gehört auch den Alltag zu regeln, (über)lebenswichtige Güter zu sichern, Gefahren zu erkennen, sie zu vermeiden und/oder sie abzuwehren. Führung baut auf Vertrauen auf.

ZUSAMMENFASSUNG:

DEN dominanten Hund gibt es nicht. Dominanz ist eine Beziehung zwischen mindestens zwei Individuuen und keine Eigenschaft, die einem Individuum zu eigen ist. Dominanzbeziehungen werden von unten nach oben bestätigt. Sie bauen nicht auf Gewalt auf, sondern auf souveränen Führungsqualitäten und Vertrauen.