WILSON DER ANTIAUSSIE TEIL: 35

von Mira Berghöfer

WALDGESPRÄCHE

Jeder kennt das, da bin ich mir sicher: Diese gewissen Begegnungen mit anderen Hundebesitzern, die es immer besser wissen, als man selbst. Manche haben ja die Selbstbeherrschung diese „gut“ gemeinten Ratschläge lächelnd hinzunehmen, andere wiederum finden es vielleicht sogar erheiternd.

Ich persönlich versuche dieser Art Gespräch jedoch lieber aus dem Weg zu gehen, meine Nerven sind ja meist dank der Diskussionen mit dem Müdi, ob und wenn ja wie lang wir denn überhaupt spazieren gehen, meist schon genug strapaziert. Hilfreich für besagte Vermeidungsstrategie ist mein von Natur aus nicht unbedingt freundlicher Blick und seit Neustem auch der Käfig im Gesicht meines Müdis. Da halten neunmalkluge Leute nämlich direkt Anstand, nehmen ihre felligen Lieblinge der Marke „Der-will-eigentlich-nur-spielen“ (während er sich kläffend und keifend in sein Geschirr hängt oder andere Hunde mit breiter Brust schon von Weitem fixiert) an die Leine und werfen mir nur vielsagende Blicke zu. Diese müssen so viel bedeuten wie: die arme Frau mit so einem fiesen Hund gestraft (denke ich), oder sieh an ein armes Müdi, dass von der Halterin in Wald gezwungen wurde (denkt sich das Müdi). Mit diesen Assoziationen können der Hund und ich sehr gut leben, wobei sich der besser wissende Mensch wahrscheinlich in Wirklichkeit denkt, dass ich als unfähige Halterin meinen hochaggressiven Hund nur durch die einer Misshandlung gleichkommenden Maßnahme eines Maulkorbs bändigen kann. Nun ja, solange sie es mir nicht sagen, finde ich selbst diese Annahme zu ertragen. Immer geht meine Strategie allerdings leider nicht auf…

Am Rande unserer Heimatstadt befindet sich mein bevorzugtes Spaziergebiet, welches sich vor allem dadurch auszeichnet, dass es wenig frequentiert ist und dass die wenigen Menschen, die dort spazieren gehen, sehr berechenbar sind. Das heißt, sie laufen immer zur gleichen Zeit und ich gehe ihnen aus dem Weg, sie haben einen Leinenhund und sind selbst froh unbehelligt zu bleiben, oder aber unsere Hundefreunde, mit denen Müdi und ich uns eben gut verstehen. Besagte Situation ereignete sich selbstredend, als ich mal nicht zu gewohnter Zeit unterwegs war, vom immer funktionierenden Plan abwich und mir plötzlich ein weißer Kampfzwerg entgegensprang, der meinte, es mit Müdi aufnehmen zu können. Ich regelte die Situation, indem ich mich gegen die Option entschied, meinem Tier den Maulkorb abzulegen und ihn in den Ring zu schicken und mich selbst der Bestie in den Weg stellte. Die Besitzerin des Monsters dachte nicht mal daran, es an die Leine und damit meine Gummistiefel aus der direkten Bissgefahrenzone zu retten. Als ich sie dann darauf hinwies, dass mein Hund einen Maulkorb trüge und sich zudem an der Leine befände, packte sie ihr Tier leicht panisch am Halsband und zerrte ihn wortlos von dannen. So weit, so gut. Es gibt eben Menschen, die anders sind, das kann ich akzeptieren. 

Da allerdings alle Wege meines Lieblingswaldes in Runde angelegt sind, war die Wahrscheinlichkeit groß die beiden erneut zu treffen, was mich schon nichts Gutes ahnen ließ. Sie hatte also ca. drei Kilometer Zeit, sich Gedanken über den Vorfall zu machen und ihr unmögliches Verhalten irgendwie zu kompensieren. Und es kam, wie es kommen musste: Bei Begegnung Nummer Zwei, war das keifende Monster an der kurzen Leine und als ich mit meinem braven Müdi (Gott sei Dank interessieren ihn nämlich derartige Hunde nicht mehr, wenn sie ihm nicht direkt im Gesicht hängen) die beiden passierte und es mir nicht nehmen lassen konnte freundlich zu grüßen, blieben sie stehen. „Ihr Hund trägt ja einen Maulkorb“, stellte sie fest. Ahhh, echt? Danke für den Hinweis, dachte ich und antwortete: „Das haben Sie richtig erkannt, ja.“ – „Das tut mir aber leid.“, entgegnete sie vielsagend und fuhr fort „Ich habe mich nur gewundert, weil so Hunde sieht man ja nie mit Maulkorb, ne.“ Dummerweise fragte ich verwundert nach, denn irgendwie hatte sie mein Interesse geweckt und vielleicht auch meine durch unsere erste Begegnung erweckte Kampfeslust. „Was meinen Sie denn mit ‚so Hunde‘?“ – „Ist das kein Border Collie?“, fragte sie die aufgrund der müdischen Fellfarbe naheliegenden Frage. „Nein, das ist ein Australian Shepherd.“ (Eigentlich, also von der Ahnentafel her.), antworte ich gelassen und ahne, dass ich es mit einer echten Hundekennerin zu tun haben musste. „Aber das sind doch Familienhunde, die sind ja eigentlich gar nicht aggressiv und sehr leicht zu erziehen. Dann sieht man so einen Hund, der ja eigentlich so sozial verträglich und lieb ist mit einem Maulkorb, da kann der einem nur richtig leidtun“, belehrte sie mich freundlich. „Nun ja, wissen Sie“, antwortete ich, „wahrscheinlich haben Sie recht. Aber ich denke mir, wenn ich meinem Hund nur zu 99,9 % vertraue, sind 0,1 % zu viel, als dass ich diesen Hund ohne Maulkorb herumrennen lasse. Man trägt ja schließlich als Besitzer eines Tieres auch eine gewisse Verantwortung gegenüber anderen, die unbehelligt durch die vermeintliche Unerzogenheit des eigenen Tieres ihren Sonntagmorgenspaziergang im Wald unternehmen wollen, oder nicht?“. Sie starrte mich einige Sekunden an und man konnte sehen, wie die Räder langsam einrasteten. „Also mir kann der Hund jedenfalls nur leidtun. Gucken Sie doch mal, wie traurig er guckt, der sieht doch mit diesem Maulkorb total unglücklich aus.“ Das Müdi triumphierte, endlich hatte jemand sein Elend bemerkt. Vielen Dank dafür unbekannte Frau, die mich nervt. „Das hat andere Gründe, das kann ich Ihnen versichern. Ich wünsche Ihnen dann noch einen schönen Sonntag.“ Mit diesen Worten beendete ich die Unterhaltung, sehr froh darüber erfahren zu haben, dass ich bei der Erziehung meines sozial verträglichen Familienhundes wohl versagt hatte und dass 9:30 Uhr auf die Rote Liste der Hunderundenzeit geschrieben werden musste.