WILSON DER ANTIAUSSIE TEIL: 39

von Mira Berghöfer

SCHWIERIGE ZEITEN TEIL 4

Zu allem Überfluss kam dann auch noch dieser Sturm. Wenn ein Müdi schon bei durchschnittlichem Wetter keine Lust hat, in den Wald zu gehen und mich sowie jeden anderen Menschen und Hund hasst, der ihm in die Quere kommt, müsst ihr euch kurz vorstellen welch´ Ausbrüche der Freude das folgende Szenario bewirkte: 

Aufgerissene Pfoten, der vermeintliche Verlust des ‚Best Buddy‘, überproportional viel Zeit mit mir, durchwachte Nächte auf dem Badezimmervorleger und dann war da auch noch Eberhard. Das Sturmtief im März, nach Müdilogik selbstredend durch mich herbeigewünscht und/oder erschaffen, setzte dem Ganzen Übel letztlich die Krone auf. Dazu muss man wissen: Müdis fürchten neben den unberechenbaren Geräuschen von sich öffnenden Cremetuben, gluckernden Wärmflaschen und den Tönen von Hundespielzeug mit eingebauten Quietschies, ganz besonders das gruselige Heulen des Windes und das Rauschen der sich darin wiegenden Baumwipfel. Das Drama war demnach perfekt, als ich ihm an besagtem Wochenende den Besuch einer gewissen Anzahl von Kursen des HundeWerk.nets ankündigte. Obwohl meine ernste Absicht, der ein oder andere mag sich daran erinnern, darin bestand, wirklich nur Tricks zu üben, die meinem Prinzen ganz besonders viel Spaß bereiteten, der Herr nur schwermütig trottend an meiner Wade klebte. Die Augen voll Traurigkeit und Trübsinn, Frust und Furcht auf den Boden gerichtet.  

Ich glaube, selbst als Eberhard schließlich dafür sorgte, dass wir gar nicht mehr rausgehen konnten, waren die suizidalen Gedanken des Müdis, der sich im Zenit einer schwerwiegenden Depression befand, präsenter denn je. Ich erfreue mich der Anwesenheit dieses Tieres ja nun beinahe neun Jahre, aber so traurig und apathisch sah ich ihn bisher nur ein einziges Mal. Allerdings aufgrund einer physischen Erkrankung, einem von ihm selbst dramatisierten Befall von Giardien, einer Sorge, der durch ein bisschen Medizin schnell Abhilfe geschaffen werden konnte. Das Problem war, dass in dem aktuellen Fall wohl keine Tablette helfen würde. 

Eine verzwickte Situation, denn ich kenne das Tier ja und fürchtete die nächsten Schritte, die er einleiten könnte und deren finanziellen und auch emotionalen Konsequenzen für alle Beteiligten. Horrorszenarien machten sich in meinem Kopf breit, in denen ich heimkehrte und er sich den goldenen Schuss mit dem, wie ich irrtümlich annahm, unerreichbar versteckten Backkakao, oder meiner eisernen Schokireserve gesetzt hatte. Berichte über die tödliche Wirkung von Schneckenkorn hielt ich sicher unter Verschluss, damit er auch ja keinen Wind davon bekam, wo er danach suchen könnte, vielleicht werde ich auch langsam paranoid. Nun ja, von diesem Moment an wären es jedenfalls noch ganze drei Wochen gewesen, bis zur rettenden Rückkehr des Ahnungslosen und ich wusste, dass entweder Müdi selbst oder aber mein Nervenkostüm diese Zeit nur schwer überleben werden würden.   

Auf Grundlage dieses Sachverhalts musste gehandelt werden und somit fasste ich einen Entschluss. Die lange Abwesenheit des Ahnungslosen gliederte sich in zwei Abschnitte, wobei er den ersten Teil außerhalb Europas zubrachte und den Zweiten im gar nicht so weit entfernten Sauerland. Nachdem Eberhard nun auch unsere Wanderpläne für das kommende Wochenende zunichtegemacht hatte, konnte ich die Möglichkeit seiner Ankunft am Flughafen nutzen, um erstens dem Ahnungslosen den Transfern zu Urlaubsort Nr.2 zu erleichtern und zweitens die Sehnsucht des Müdis zu stillen. Die zweieinhalb Stunden Fahrt an einem Sonntagmorgen um fünf Uhr nahm ich dafür selbstredend gerne auf mich, und es sollte sich lohnen!

Nachdem mir das Müdi diese absolute Abnormität meines Verhaltens zunächst mehr als übel nahm – Sonntagmorgen wird für gewöhnlich ausgeschlafen und nicht um 4 Uhr aufgestanden und sich erst mal stundenlang ins Auto gesetzt, um dann bei Sonnenaufgang notdürftig auf einem Rastplatz sein Geschäft zu verrichten, im Anschluss auf einem völlig überfüllten Flughafen kilometerweit zu laufen, gestresst durch eine verspätete Ankunftszeit schließlich doch noch 30 Minuten an einem Gate zu warten. – und dies selbstredend entsprechend quittierte, war die Belohnung in Form des Herzensmenschen, glaube ich, mehr als Wiedergutmachung genug. Damit hatte das Müdi nämlich so gar nicht gerechnet! Wiedervereint lief er glücklich zwischen uns zum Auto zurück, gehorsamster und glücklichster Hund aller Zeiten versteht sich. Meine Geschichte, wie er mich auf dem Hinweg blamierte, indem er jeden Menschen anbellte und mir ganze Reisegruppen verängstigt auswichen, schienen mehr als lächerlich. Wäre auch peinlich vor seinem Kumpel, wenn rauskäme, wie sehr er unter dessen Abwesenheit litt. Ich bin mir allerdings sicher, dass er die Du-hast-mich-mit-Mira-zurückgelassen-Karte bei Gelegenheit noch mal ausspielt… 

„Voll übertrieben von ihr für die kurze gemeinsame Zeit fünf Stunden Autofahrt auf sich zu nehmen“, sah ich das Müdi dem Ahnungslosen zuflüstern, während er brav im „Bei Mir“ den Gepäckwagen zum Auto geleitete. Naja sollen die beiden denken, was sie wollen, die letzte Woche schlief das Müdi jedenfalls wieder bei mir im Schlafzimmer und ich könnte schwören, dass er sich sogar freute, mit mir vor die Türe zu gehen – wahrscheinlich vornehmlich, weil sich die Rechnung geändert und jedes Verlassen des Hauses auch ein Abholen des Lieblingsmenschens implizieren könnte. 

Durch diese nicht wenig aufregende Aktion war der müdische Suizid nun abgewendet. Vorerst. Hat wohl jetzt begriffen, dass wir seinen neuen Freund noch ein bisschen behalten können. Hoffentlich.