WILSON DER ANTIAUSSIE TEIL: 55

von Mira Berghöfer

EIN MÜDI ALS ALLTAGSBEGLEITER

Mit Erschrecken stellte ich jüngst fest, dass mein Müdi mittlerweile zu einem Begleiter in jeder Lebenslage geworden ist.

Ein Zustand, der noch vor wenigen Jahren, undenkbar gewesen wäre! Früher war dieses Tierchen eher ein Anhängsel, das ich vorsichtshalber aus der Gesellschaft heraushielt. So plante ich meinen Alltag strikt so, dass aller Erledigungen und Aktivitäten außer Hause niemals zu viel Zeit beanspruchten oder eben in der Woche vonstattengingen, wenn das Müdi im Exil war. Dadurch musste ich den Herren niemals irgendwohin mitnehmen. Zusätzlich konnte ich die Chance eines unerwünschten Ereignisses mit Müdi-Beteiligung auf ein Minimum reduzieren. In diesen Tagen auch nur einen einzelnen Gedanken daran zu verschwenden, den unberechenbaren Aggressor mit in ein Restaurant zu nehmen, wäre für mich schlichtweg absurd gewesen.

Seitdem ich (oder wir) den Ahnungslosen und Müdi (oder wir) seinen Maulkorb haben, hat sich diesbezüglich so manches geändert. So hat sich der Wirkungskreis des Tierchens um einiges vergrößert und ganz allmählich fange ich an, diese neue Situation sogar zu schätzen. Der Ahnungslose hat es nämlich von vorne herein nicht eingesehen, den Hund wie eine tickende Zeitbombe in Watte zu packen und strafgefangenengleich im häuslichen Fort Knox vor der Gesellschaft zu verbergen. Auch das Meiden der Zusammenkunft mit anderen Hunden im Wald durch unmenschliche Gassirundenzeiten, waren mit dem Ahnungslosen im Schlepptau keine Option mehr. 

Weil ich ja irgendwie auch alles haben will, hieß es demnach für mich: Müdi muss besser in meinen Alltag integriert werden. Es war schlicht nicht länger möglich, meinen Tagesablauf ausschließlich um den Hund und dessen potenziellen sozialen Aussetzer zu planen. Ein gar nicht mal so leichter Prozess für ein gebranntes Kind wie mich. Für Prinz Müdi hingegen stellte sich seine neu gewonnene Beteiligung an allem, wovon er so lange ausgeschlossen war, als große Bereicherung dar. Ein Sachverhalt, der mich nicht minder beunruhigte. Wenn man mit einem Müdi-Hund und dessen vor Stolz geschwellten Brust durch die Innenstadt spaziert, um kurze Erledigungen anzugehen, kann und sollte es einem durchaus auch mal mulmig zu Mute werden. 

Seit der Adoption durch den Ahnungslosen, nehmen wir das Tier nun wirklich überall mit hin. „Er ist schließlich ein Teil unserer Familie“, heißt es immer dann, wenn ich Unsicherheiten aufgrund seines Benehmens äußere. Oder er bringt das Totschlagargument: „Er ist ja schon den ganzen Tag alleine, wenn wir arbeiten gehen.“ Damit kriegt er mich immer rum, denn das macht mir ein unsäglich schlechtes Gewissen. Nicht für Hunde geeignete Aktivitäten werden seither auf ein Minimum reduziert. Wohingegen jegliche Aktivität außerhalb unserer vier Wände, die ich als bedenklich einschätze, schonungslos geprüft werden: 

„Warum darf der Hund nicht mit zu meiner Tante?“

– „Sie hat eine Katze.“ 

„Naja, aber er ist doch erzogen und geht nicht dran, wenn du es ihm verbietest.“

– „Ja, aber…“

„Kein aber, wir probieren es.“

Was soll ich sagen: Als ob Müdi sich in derlei Situationen nicht von seiner Engelchenseite zeigen würde. Er benimmt sich natürlich vorbildlich, wobei ich mich frage, ob nicht doch noch irgendwann das böse Erwachsen folgt und er seinen neuen Spielraum ausnutzten könnte.

„Aber er kann ja gar nichts machen.“, hallt bei diesen Zeilen direkt das Argument des Ahnungslosen in meinem Kopf wider. Die Tatsache, den Hund nun überall dabeizuhaben, hat mich eine Zeit lang mehr als gestresst. In Restaurants wurde der Wilson mit zehnfach Knoten am Tisch fixiert, unzählige Male mussten Straßenseiten gewechselt werden, um Kinderwagen, angeleinten Hunden und allen möglichen Gefahren der Innenstadt aus dem Wege zu gehen. Jeder Besuch bei der ahnungslosen Familie war ein Spießroutenlauf, bei dem das kleinste Körperzucken des Hundes meiner genausten Analyse unterzogen wurde. 

Langsam jedoch beginne ich mich zu entspannen. Das Müdi beträgt sich ganz gut. Das muss ich langsam einsehen. Er selbst weiß das natürlich schon lange und denkt sich, dass wir schon vor Jahren ein so entspanntes Zusammenleben hätten fristen können. Selbstverständlich lässt er keine Gelegenheit aus, seiner Umwelt diesen Sachverhalt unter die Nase zu reiben. Die Geschichten häufen sich und so das Material für diesen Blog!