WILSON DER ANTIAUSSIE TEIL: 40

von Mira Berghöfer

TRINKVERHALTEN

Das Müdi findet Trinken doof. Gar nicht so verwunderlich, so dachte ich trügerischerweise einige Jahre.

Der ein oder andere kennt das sicherlich von sich selbst, genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen, kann dann und wann zur Herausforderung werden. Dabei ist eine ausreichende Hydrierung unseres Körpers notwendig für eine gute Gesundheit. Mit der festen Absicht, jene aufrecht zu erhalten, komme ich jedoch häufig nur mit sehr viel Überwindung auf die nötigen Liter. Ist dieser Punkt einmal erreicht, fühlt man sich deutlich besser, das muss ich zugeben. Dass eine entsprechend ausreichende Zufuhr an Flüssigkeit also auch für den funktionierenden Organismus unserer vierbeinigen Fellnasen notwendig ist, sollte auf der Hand liegen. Leider können wir diese aber nicht unbedingt durch Häkchen setzten auf Wasser-trink-Listen oder durch sich nach und nach digital leerende Wassergläser in Apps dazu motivieren dieser Notwendigkeit auch nachzukommen.

Wilson zählt jedenfalls eher zu den Vertretern seiner Art, die sich mit der Flüssigkeits- ganz im Gegensatz zur Nahrungsaufnahme vergleichsweise schwertun. Ein gesunder Hund benötigt bei einer Nassfutterernährung ca. 20 bis 50 ml Flüssigkeit auf 1 kg Körpergewicht. Bei Müdi habe ich manchmal das Gefühl, er kommt nicht mal auf 20 zusätzliche Milliliter pro Tag (und mehr als 1 kg Körpergewicht hat er dann doch vorzuweisen, auch wenn er gerade stark an seinen Modelmaßen arbeitet), wenn ihm die Umstände der Wasseraufnahme nicht zusagen. Dann harrt er nämlich gut und gerne tagelang aus, bis sich eine Gelegenheit bietet, die den hoheitlichen Ansprüchen Genüge tut.

Wie zu erwarten hat mein Müdi nämlich sehr genaue Vorstellungen davon, wann er etwas Trinken beziehungsweise was er im Fall der Fälle dann trinken mag. In Frage kommen selbstredend stinkende, stehende Gewässer in der Natur. Bevorzugt mit Regenwasser befüllte Mulden an Baumwurzeln, oder kleine Pfützen und Tümpel im Wald, die womöglich zu bestimmten Jahreszeiten noch mit proteinreichen Fleischeinlagen in Form von Mückenlarven angereichert sind. Von dem Trinken aus Pfützen halte ich ihn aufgrund der vielen Horrorgeschichten von Frostschutz- und Düngemittelvergiftungen eigentlich schon immer ab, selbstredend stellt er sein Glück diesbezüglich besonders in der wärmeren Jahreszeit aber gerne auf die Probe – suizidale Veranlagungen und so. Das Trinken aus den Wurzelmulden hatte ich lange Zeit, aufgrund der Freude, dass er überhaupt Flüssigkeit aufnimmt, gestattet. Mittlerweile ist jedoch auch das Tabu. Nachdem er sich vor einigen Jahren einen nicht minder schweren Parasitenbefall mit Giardien eingefangen hatte, den eine verzweifelte Tierärztin, ob seines unerhört tragischen Verhaltens, sogar zur Diagnose einer Alzheimererkrankung bewogen hatte, habe ich mein Lehrgeld diesbezüglich mehr als gezahlt.

Seitdem die Möglichkeiten in der Natur auf fließende Gewässer und Waldtränken beschränkt sind, sieht sich Herr Müdi gezwungen auch auf den konventionellen hausinternen Trinknapf zurückzugreifen – aber auch dies nur zu seinen Konditionen. So hat er es tatsächlich geschafft, mich dazu zu bewegen, seinen Keramiktrinknapf, den er fünf Jahre mit Verachtung gestraft hatte, gegen eine Blechschale einzutauschen, die er bei meiner Oma nutzt. Findet er besser, Silber ist auch das mindeste, was einem Adeligen zustehen sollte. Neben der Ausgestaltung des Napfes ist es selbstverständliche Grundsatzbedingung, dass außer ihm zuvor niemand aus demselben Gefäß getrunken hat UND das Wasser frisch und kalt aus dem Hahn kommt. Schwierig wenn man unter der Woche in einer Hunde-WG lebt, mit der man sich selbige eigentlich teilen muss. Aufgrund dieser Unannehmlichkeit, sieht sich das Tier sogar zu eigeninitiativen Handlungen veranlasst und steht, möge es auch noch so tief schlafen, stets und ständig bereit, wenn der Napf frisch aufgefüllt wird. Nicht, dass irgendeiner seiner tierischen (und wer weiß was er denkt, vielleicht auch menschlichen) Mitbewohner seine Nase zuerst in das frische Getränk stecken könnte. Wäre ja ekelhaft!

Ich bin mittlerweile froh, dass er überhaupt trinkt. Als sich unlängst sein Geburtstag zum neunten Mal jährte, musste ich unweigerlich daran denken, dass es durchaus Phasen gab, in denen er mich soweit hatte, ihn per Hand zu tränken. Damals wurde er noch mit Trockenfutter verköstigt, welches ich zwar mit Flüssigkeit anreicherte, die Wasseraufnahme darüber hinaus allerdings vollständig verweigert wurde. Schließlich hatte er mich davon überzeugt, er wäre stark verstört und könne das Wasser nur aus der Mulde meiner Hand aufnehmen, anderenfalls müsste er verdursten. Das waren diese alten Zeiten, in denen ich noch die Ahnungslose war. Er muss es genossen haben.

Mit der Aufforderung „Geh mal was Trinken“, kann man ihn im Übrigen bis heute jagen. Immer dann, wenn ich ihn dazu auffordere, geht er nämlich beschämt um ein Möbelstück, wie beispielsweise den Sofatisch, und lässt sich schwermütig auf den Boden fallen. Könnte sein, dass da irgendwie eine Fehlverknüpfung stattgefunden hat, oder ist es Ausdruck seiner Trauer um die vergangene Zeit und die Erinnerung an eine verzweifelte Besitzerin, die ihn mit Wasser in den Händen vor ihm auf dem Boden kniend anfleht, etwas zu trinken?