WILSON DER ANTIAUSSIE TEIL: 57

von Mira Berghöfer

EIN MÜDI UND DAS FEST DER LIEBE

Dieses Weihnachten, um das die Menschen so einen Wirbel veranstalten, ist dem kleinen Prinzen Müdi schon von frühster Kindheit an ein Dorn im Auge: Immer dann, wenn die Tage dunkler werden und er als armer Hund fortan in kürzester Abfolge und zudem teils noch in bedrohlichster Dunkelheit in den Wald geschleppt wird. 

Immer genau dann, wenn es kälter und noch viel anstrengender wird, mit dem wenigen Futter auszukommen, das ihm seine Besitzerin zur Verfügung stellte. Genau dann machen diese Menschen und allen voran seine Besitzerin und sein Ahnungsloser dem routineliebenden Tierchen viel zu viele, viel zu ungewöhnliche Dinge. Dieses Theater zieht sich meist über ganze 24 Tage hin, bis alles schließlich vom 24. bis 26. Dezember mit schrecklich viel Trubel, genervten Besitzern und leckeren Gerüchen, die von nie für ihn bestimmten Essen herrühren, gipfelt. 

So werden zu Beginn einer jeder dieser alljährlichen Phasen plötzlich Dinge in seiner sorgsam gehüteten Wohnung aufgestellt, die da so gar nicht hingehören. Komische Hirsche mit roten Nasen etwa, oder ein kleines, mit Tannengrün gespicktes Gebüsch, auf dem jede Woche ein weiteres Feuer entzündet wird. Sehr früh setzt außerdem das große Backen ein. Die herrlichsten Plätzchendüfte wehen durch das Haus und niemals ist auch nur ein einziger Keks für den kleinen Müdi gedacht. Alle diese Leckereien vertilgen die Menschen selbst oder aber kommen auf die absurde Idee, ihr Backwerk zu verschenken, bevor sie es dem Hund abgeben. Eine dem Müdi absolut unverständliche Handlungskette. Schrecklich ist zudem, dass sowohl die Besitzerin als auch der Ahnungslose viel zu oft mit Tüten voller Dingen nach Hause kommen, die sie dann schnell in altes Papier einwickeln und irgendwo verstecken. Ein absolut sinnloses Unterfangen, bei dem die Aufmerksamkeit der beiden viel zu wenig auf ihm, dem Müdi, dem eigentlichen Zentrum des Universums liegt. 

Als wären dies nicht schon genug der Kuriositäten, die Herrn Müdi die Laune verderben, ist da noch diese Sache mit dem Baum. Da schleppen die doch tatsächlich alljährlich eine Hundetoilette ins Haus, die sie förmlich anbeten. Ihm aber selbst ist es untersagt, diese zu nutzen. Das soll mal ein Hund verstehen. Zudem schmücken sie das Klo auch noch und auf der Hundewiese munkelt man, dass der ein oder andere Mensch seine Tanne sogar allabendlich anzündet! Im Haus des Müdis ist es sogar so, dass er sich das Wohnzimmer nicht nur wenige Tage, sondern einige Wochen mit dem Baum teilen muss. Alles riecht nach Klo, doch man darf kein Pippi machen. Das macht doch keinen Sinn. 

Diese ganzen Dinge sind für sich genommen schon ziemlich komisch. Doch der wirkliche Kern des Problems besteht in einer Tatsache, die das kleine Müdi-Tierchen niemals öffentlich zugeben würde. Denn eigentlich mag er dieses Weihnachten nur so wenig, weil er den Heiligen Abend in jedem Jahr allein verbringen muss. Da durchlebt das Müdi all den Stress und diese ganze vorweihnachtliche Hektik nur mit dem einen Ergebnis: einem einsamen Abend mit dem geschmückten Klo im Wohnzimmer. Ohne die Besitzerin und ohne seinen Ahnungslosen. 

Jedes Jahr ist es dann nämlich so, dass der Ahnungslose mit dem Auto zu seinen Eltern in den Aachener Raum fährt, ohne das Müdi mitzunehmen. Dabei gibt es dort so oft Möhren für ihn und keine anderen Hunde, die ihm die Show stehlen könnten. Seine Besitzerin hingegen quält ihn am Heiligen Morgen zunächst mit einem nicht enden wollenden Weihnachtsspaziergang und im Anschluss dann stundenlang mit besagten Essensgerüchen, die sich während des Tages in der Wohnung breitmachen. Am Abend jedoch verspeist sie das Essen nicht im Beisein des Prinzen, sondern besucht ihre Eltern und bleibt dort bis spät in die Nacht. Müdi kann dort nicht hin, weil er sich wohl einmal zu oft mit dem Familienhund der Eltern angelegt hat. Seiner Meinung nach einer Marginalie aber die Eltern der Besitzerin und auch diese selbst haben an genau diesem Abend wohl keine Lust auf eventuelle Konfliktsituationen, die selbstverständlich niemals das Müdi selbst auslöst. 

So ganz verstanden hat Wilson diese Strafe des einsamen Heiligen Abends bisher nie. Er hatte sich schließlich niemals ernsthaft etwas zu Schulden kommen lassen. Hat diese ganzen komischen Rituale der Besitzerin und des Ahnungslosen höchstens mit aufgerissenen Pfoten, Durchfall oder Fieber quittiert und ganz vielleicht auch mit der ein oder anderen Schlägerei im Wald. Nie aber ernsthaft versucht, den beiden zusätzlichen Stress zu bereiten. Warum also wollten seine Menschen dieses Fest der Liebe niemals mit ihm gemeinsam verbringen? Zu dritt, so wie viele andere Abende im Jahr auch. Konnte es bedeuten, dass die beiden den Müdi in Wirklichkeit gar nicht liebten? Vielleicht sogar nicht einmal mochten? 

Nach zehn einsamen Weihnachten und diesen Gedanken beschloss Herr Müdi daher: In diesem Jahr sollte alles anders werden. Er würde ein ganz besonders artiger Hund sein und einfach mal versuchen, ob die beiden nicht doch dazu zu bewegen waren, gemeinsam mit ihm, dem liebsten aller Müdi-Hunde, den Heiligen Abend zu verbringen. 

In diesem Jahr gab er sich also Mühe und das war gar nicht so einfach, stellten ihn seine Besitzerin und auch der Ahnungslose doch auf die ein oder andere ganz schön harte Belastungsprobe. Da war zum einen ein Umzug in die Nähe eines großen Waldes, was bedeutete, dass er ohne zu Murren jeden Tag noch mehr Spazieren gehen musste, als ihm lieb war. Da war die Tatsache, dass die Besitzerin unfassbar viel Zeit zu Hause verbrachte, weil die ganze Welt aufgrund eines sonderbaren Virus in eine Art Stillstand versetzt wurde, sodass er selbst kaum die Gelegenheit hatte, in Ruhe die anderen Bewohner des Mehrfamilienhauses zu verbellen. Und dann veränderte sich seine Besitzerin auch noch auf eine ganz schön seltsame Art und Weise. Was da genau im Busch war, konnte er nicht sagen, allerdings war es mit dem Einzug von vielen Utensilien für sehr kleine Menschen in seine Wohnung verbunden, die er irgendwie tolerieren musste. 

Ganz schön viele Dinge für das nicht so belastbare Müdi-Gemüt. Viele Veränderungen, viel Stress, viele Sorgen, die er still zu dulden lernte, mit dem einen einzigen Ziel vor Augen: einem gemeinsamen Heiligen Abend. Erste Anzeichen für den Erfolg seiner Strategie ergaben sich, so glaubte er dabei sogar schon in der Vorweihnachtszeit. So befanden sich tatsächlich das ein oder andere Mal Dinge für das Müdi im Ofen. Es gab Hundeplätzchen und Quarkpralinen und sogar einen gefüllten Kong, an dem er sich so richtig abarbeiten konnte. Außerdem übte die Besitzerin mit ihm einen seiner liebsten Tricks: „Das Melden“. Das konnte er bereits sehr gut und daher ergab das im Umkehrschluss SEHR viele Leckerchen für ihn. Wenn er sich zudem nicht ganz täuschte, schienen seine Besitzer sogar etwas für ihn vorzubereiten. Es hatte irgendwas mit Stoffresten und diesem Teppich zu tun, vor dem er zuletzt für ein Foto posieren musste. Konnte es sich um ein Geschenk handeln? Vielleicht ein Geschenk, das er unter dem nicht nutzbaren Wohnzimmerklo auspacken durfte, während sowohl die Besitzerin als auch der Ahnungslose anwesend waren?!

Irgendetwas war in diesem Jahr 2020 jedenfalls anders, dessen ist sich das Müdi bis jetzt bewusst. Was das genau das war, kann er natürlich nicht wissen. Was die Menschen umtreibt, ob sie wohl Weihnachten mit ihm verbringen oder doch zu ihren Eltern fahren und ihn allein zurücklassen? Noch ist nicht Heilig Abend. Noch hat er wenige Tage dieser Adventszeit übrig, sich von seiner besten Seite zu zeigen und an seinem Betragen zu arbeiten. Diese Tage wollte er nutzten, hatte er die Nerven der Besitzerin mit einem außerplanmäßigen Tierarztbesuch zuletzt doch nochmals strapazieren müssen. So ganz wähnt er sich jedenfalls nicht in Sicherheit und versucht, sich erst mal unter dem Radar zu halten.

Was meint ihr, hat sich das Tier trotz der letzten zehn Jahre und all seiner Eskapaden in diesem Jahr ein Fest nach seinen Wünschen verdient?